Mittwoch, 12. Oktober 2016

Aktuelle Alben: Opeth - Sorceress (Prog-Rock)

Veröffentlicht: 30.9.2016



Nichts weckt einen eher aus einem  journalistischen Dornröschenschlaf als ein skrupelloser Dolchstoß in den Rücken. Mit ihrer dritten Daddyrock-Compilation SORCERESS bohren OPETH tiefer in jener alten Wunde, die HERITAGE damals in den Körpern eines beträchtlichen Teils ihrer Fanbase aufgerissen hat. Die Metamorphose einer Band, die sich vor allem durch ihr eigenwilliges Songwriting ausgezeichnet hat und in diesem Zug eine einzigartige Atmosphäre zwischen Melancholie und Mystik erzeugen konnte hin zu einer Progrock-Retorte, die sich eine Woche nach Release auf Platz 1 der deutschen Albumcharts wiederfindet, kam für mich einem langen schmerzvollen Trennungsprozess gleich. Schmerzvoll vor allem, weil ich mir sowohl HERITAGE als auch PALE COMMUNION über Monate hinweg schön gehört habe. Bei Sorceress möchte ich diesen Fehler vermeiden, auch wenn mich das Ohrwurmangebot dieser Platte schon nach wenigen durchläufen mürbe gemacht hat.

Der Verzicht auf Growls seit HERITAGE ging nicht nur mit einem entschärften Gitarrensound und einem jazz-lastigen Schlagzeug einher, sondern hatte neben dem Sound auch konkrete Auswirkungen auf das Songwriting. Die Songs wurden reduzierter und repetitiver und schufen so mehr Platz für den Gesang, der, zuvor oftmals durch Gitarrenamps gejagt und somit zurückhaltend in das Soundkorsett eingearbeitet, nun selbstbewusst und teilweise sogar soulig angerauht die Songs bestimmt. Songs wie „Sorceress“, „The Wilde Flowers“ und „Era“ stellen den Zenith dieser Entwicklung dar und sind bis auf den Titletrack aufgrund ihrer ätzenden Hooks auch kaum zu ertragen. Während „The Wild Flowers“ gegen Ende zumindest mit wenigen Sekunden musikalischer Orginalität aufwarten kann, ist letzerer ein ereignisarmes und klebriges Zeugnis eines gesunken Selbstanspruchs. „Sorceress“ hingegen trumpft mit einem ikonisch-primitiven Heavy-Riff auf und fährt diesen Kurs auch solide, wird jedoch leider an Anfang und Ende durch ziellose Fusion-Elemente begrenzt.

Auch wenn die Jazz-Elemente in SORCERESS prominenter sind als je zuvor, treten in den akkustischen Parts vieler Songs wieder charakteristische Opeth-Momente hervor. So ist „Will O The Wisp“ ein atmosphärischer Jethro Tull Song, der jedoch genausogut „Harvest“ auf der Blackwater Park folgen könnte. „Sorceress 2“ und „The Seventh Sojourn“ hingegen finden ihren Platz am ehesten auf DAMNATION. In ersterem wird zusätzlich der Einfluss des Kollegen und langjährigen Produzenten Steven Wilson sichtbar, denn „Sorceress 2“ erinnert in Atmosphäre und Instrumentalisierung auch an deren Kollaboration STORM CORROSION. Auch „Strange Brew“ bewegt sich zu Anfang in der Klanglandschaft von Wilsons Debut „Insurgentes“, wird jedoch anschließend durch einen chaotischen Fusion-Part wieder zerrissen, von einem Stakkato-Riff erneut auf Spur gebraucht und mit bluesiger Note aufgelößt. Es ist der markanteste und vielseitigste Song des Albums und eines der Albumhighlights, ganz im Gegensatz zu „A Fleeting Glance“, der belanglos vor sich tröpfelt.

Zwischen wenigen hellen Momenten und atmosphärisch gelungenen Akkustiksongs steckt aber leider eine Vielzahl von stereotypischen Progrock-Harmonien und ausgelutschten Retro-Riffs. Wenn man seine Inspiration ausschließlich aus den 70ern bezieht kann einem natürlich entgangen sein, dass Genre wie Retro- und Stoner-Rock alte Heavy Metal-Riffs zu Tode recycled haben.
Produktionstechnisch profitiert das Album jedoch erneut von der anachronistischen Ausrichtung der Band, die Instrumente klingen wunderschön natürlich und dynamisch, auch wenn der Sound insgesammt teilweise etwas dumpf-dröhnend daher kommt. Besonders hervorzuheben ist die Leistung des Guitar Heros Akesson, denn der spielt Soli erster Sahne mit dem cremigsten Lead-Sound aller Zeiten.

SORCERESS ist ein vielseitiges Album, das vor immenser Spielfreude strotzt. Das exzessive Solo-Battle zwischen Gitarre und Orgel in „Chrysalis“ ist wohl das beste Beispiel dafür. Spielerisch haben es Opeth mittlerweile zur Perfektion gebracht, alleine den Songs mangelt es oftmals an einer Aussage, die darüber hinausgeht. Das Problem ist doch folgendes: SORCERESS ist ein gutes Album, aber wenn man bedenkt, dass aus dieser Feder Alben wie z.B. Blackwater Park und Ghost Reveries stammen, ist jedes weitere gute Retroprog Album eines, das auch etwas anderes hätte werden können. SORCERESS macht ein für alle mal klar, dass das nicht mehr zu erwarten ist.

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