Veröffentlicht: 30.9.2016
Nichts weckt einen
eher aus einem journalistischen Dornröschenschlaf als ein
skrupelloser Dolchstoß in den Rücken. Mit ihrer dritten
Daddyrock-Compilation SORCERESS bohren OPETH tiefer in jener alten
Wunde, die HERITAGE damals in den Körpern eines beträchtlichen
Teils ihrer Fanbase aufgerissen hat. Die Metamorphose einer Band, die
sich vor allem durch ihr eigenwilliges Songwriting ausgezeichnet hat
und in diesem Zug eine einzigartige Atmosphäre zwischen Melancholie
und Mystik erzeugen konnte hin zu einer Progrock-Retorte, die sich
eine Woche nach Release auf Platz 1 der deutschen Albumcharts
wiederfindet, kam für mich einem langen schmerzvollen Trennungsprozess gleich. Schmerzvoll vor allem, weil ich mir sowohl
HERITAGE als auch PALE COMMUNION über Monate hinweg schön gehört
habe. Bei Sorceress möchte ich diesen Fehler vermeiden, auch wenn
mich das Ohrwurmangebot dieser Platte schon nach wenigen durchläufen
mürbe gemacht hat.
Der Verzicht auf
Growls seit HERITAGE ging nicht nur mit einem entschärften
Gitarrensound und einem jazz-lastigen Schlagzeug einher, sondern
hatte neben dem Sound auch konkrete Auswirkungen auf das Songwriting.
Die Songs wurden reduzierter und repetitiver und schufen so mehr
Platz für den Gesang, der, zuvor oftmals durch Gitarrenamps gejagt
und somit zurückhaltend in das Soundkorsett eingearbeitet, nun
selbstbewusst und teilweise sogar soulig angerauht die Songs
bestimmt. Songs wie „Sorceress“, „The Wilde Flowers“ und
„Era“ stellen den Zenith dieser Entwicklung dar und sind bis auf
den Titletrack aufgrund ihrer ätzenden Hooks auch kaum zu ertragen.
Während „The Wild Flowers“ gegen Ende zumindest mit wenigen
Sekunden musikalischer Orginalität aufwarten kann, ist letzerer ein
ereignisarmes und klebriges Zeugnis eines gesunken Selbstanspruchs.
„Sorceress“ hingegen trumpft mit einem ikonisch-primitiven
Heavy-Riff auf und fährt diesen Kurs auch solide, wird jedoch leider
an Anfang und Ende durch ziellose Fusion-Elemente begrenzt.
Auch wenn die
Jazz-Elemente in SORCERESS prominenter sind als je zuvor, treten in
den akkustischen Parts vieler Songs wieder charakteristische
Opeth-Momente hervor. So ist „Will O The Wisp“ ein
atmosphärischer Jethro Tull Song, der jedoch genausogut „Harvest“
auf der Blackwater Park folgen könnte. „Sorceress 2“ und „The
Seventh Sojourn“ hingegen finden ihren Platz am ehesten auf
DAMNATION. In ersterem wird zusätzlich der Einfluss des Kollegen und
langjährigen Produzenten Steven Wilson sichtbar, denn „Sorceress
2“ erinnert in Atmosphäre und Instrumentalisierung auch an deren
Kollaboration STORM CORROSION. Auch „Strange Brew“ bewegt sich zu
Anfang in der Klanglandschaft von Wilsons Debut „Insurgentes“,
wird jedoch anschließend durch einen chaotischen Fusion-Part wieder
zerrissen, von einem Stakkato-Riff erneut auf Spur gebraucht und mit
bluesiger Note aufgelößt. Es ist der markanteste und vielseitigste
Song des Albums und eines der Albumhighlights, ganz im Gegensatz zu
„A Fleeting Glance“, der belanglos vor sich tröpfelt.
Zwischen wenigen
hellen Momenten und atmosphärisch gelungenen Akkustiksongs steckt
aber leider eine Vielzahl von stereotypischen Progrock-Harmonien und
ausgelutschten Retro-Riffs. Wenn man seine Inspiration ausschließlich
aus den 70ern bezieht kann einem natürlich entgangen sein, dass
Genre wie Retro- und Stoner-Rock alte Heavy Metal-Riffs zu Tode
recycled haben.
Produktionstechnisch
profitiert das Album jedoch erneut von der anachronistischen
Ausrichtung der Band, die Instrumente klingen wunderschön natürlich
und dynamisch, auch wenn der Sound insgesammt teilweise etwas
dumpf-dröhnend daher kommt. Besonders hervorzuheben ist die Leistung
des Guitar Heros Akesson, denn der spielt Soli erster Sahne mit dem
cremigsten Lead-Sound aller Zeiten.
SORCERESS ist ein
vielseitiges Album, das vor immenser Spielfreude strotzt. Das
exzessive Solo-Battle zwischen Gitarre und Orgel in „Chrysalis“
ist wohl das beste Beispiel dafür. Spielerisch haben es Opeth
mittlerweile zur Perfektion gebracht, alleine den Songs mangelt es
oftmals an einer Aussage, die darüber hinausgeht. Das Problem ist
doch folgendes: SORCERESS ist ein gutes Album, aber wenn man bedenkt,
dass aus dieser Feder Alben wie z.B. Blackwater Park und Ghost
Reveries stammen, ist jedes weitere gute Retroprog Album eines, das
auch etwas anderes hätte werden können. SORCERESS macht ein für
alle mal klar, dass das nicht mehr zu erwarten ist.
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